Über ein Mädchen, eine emanzipierte Frau und die Folgen der Moral der Fünfzigerjahre
Eine weitestgehend unbeschwerte Kindheit in einem rein weiblichen Drei-Generationen-Haushalt zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, wohl behütet und umsorgt von Mutter und Großmutter, dazu regelmäßige Italien-Urlaube bis hinunter in den Süden dieses Sehnsuchtslandes. Ein sonniges, abenteuerliches und glückliches Mädchenleben. Und doch fehlt Ursula-Michaela Berg, Autorin des gerade im Leipziger I.C.H. Verlag erschienen Buches „Das Geheimnis meiner Mutter“, in ihrer Kindheit etwas ganz Essenzielles, was sie schon sehr früh spürt und sucht und das kurioserweise von Beginn an immer bei ihr ist, in ihrem Namen – nämlich ihr Vater. Das weiß sie allerdings hier noch lange nicht. Und als Vaterfigur, als der Papa, den das Mädchen lieben möchte aber nicht kann, was immer mehr in eine quälende Sehnsucht führt, fehlt er allerorten. Obendrein wird seine Existenz verheimlicht und verschwiegen, ein Nebel um diese erzeugt, was dem Widerspruch zwischen der Moral der Zeit und der Tatsache, dass einige Frauen auch damals schon ein eigenverantwortliches und emanzipiertes Leben führen, zu schulden ist. So gerät sie in eine lebenslange, ihr immer bewusster werdende Suche, die letztendlich Jahrzehnte später Teile ihres eigenen Lebens erklären wird.
Natürlich sehr verkürzt und konzentriert ist das die Erzählung zweier Frauenleben und natürlich, wenn auch physisch nicht anwesend, so doch allgegenwärtig, die eines Mannes, wie sie die Autorin zu Papier gebracht hat.
Und es ist nicht so einfach, an dieser Stelle mehr über dieses Buch, diese Erzählung zu schreiben, ohne vielleicht doch aus Versehen zu viel zu verraten. So ist es sicher gut und auch wichtig, sich zu fragen, und das ist es ja wohl auch, was Ursula-Michaela Berg erreichen möchte, von den Leserinnen und Lesern dieses Büchleins, aber vor allem von sich selbst, nämlich, was es mit einem Menschen macht, wenn jemand so essenzielles wie der eigene Vater nicht nur einfach fehlt im Leben, sondern der auch noch, indem man ihn unüberhörbar laut verschweigt, über die Maßen präsent ist. Denn die Autorin kann schon als kleines Mädchen nicht überhören, wie Mutter und Großmutter über ihren Vater schweigen, zwei Frauen in einer Wohnküche der Fünfzigerjahre, wo doch in allen anderen Küchen, oder eben nebenan vor Radio oder Fernseher ein Mann zu finden war. Natürlich reißt die Fantasie sich hier los und dieses kleine Mädchen mit sich, das ja doch auch ohne dieses Schweigen davon träumt, einen Papa zu haben und den in jedem Mann in der Nähe wenigstens ein Stück weit zu finden. Gefangen zwischen träumerischer Sehnsucht und schmerzhafter Entbehrung. Dass dieses Träumen, diese Suche nach dem fehlenden Teil seiner Identität, seiner Persönlichkeit hier fast ein ganzes Leben anhält, ist sicher dem Charakter der Autorin Berg zuzuschreiben, die sich, auch das ist zu lesen, ganz fest und unverdrossen auf die Dinge und Menschen konzentriert, auch gegen Widerstände und außerhalb jeder Komfortzone, die für sie in ihrem Leben wichtig sind. Oder vielleicht ist es gerade dieses Suchen, das diesen unbändigen Charakter formt. So lebt sie beispielsweise, so viel darf noch verraten werden, mit ihrer nun eigenen und noch jungen Familie in einem Fachwerkhaus über Jahre hinweg ohne richtige Toilette, Bad oder Heizung, wurde der Urlaub im Garten verbracht, nur damit gebaut werden konnte. Entbehrungen, die mit Freude ertragen wurden, weil dieses Haus in der Eifel eben genau das Traumhaus der Familie war und auch bleiben sollte, ein alter Bauernhof mit Stall und Scheune und einem riesigen alten Stein-Backofen, ein Backhaus. Und natürlich führt sie diese Beharrlichkeit auch auf der Suche nach dem eigenen Vater immer weiter, und diese lässt sie Menschen finden, die zu ihr gehören und ihr sofort wichtig sind und immer wichtiger werden. Was mit diesem Mädchen aus der Wohnküche der Fünfzigerjahre geschehen wäre, was aus ihr geworden und ob sie ähnlich glücklich und zufrieden geworden wäre, wenn ihr Vater bei ihr gewesen wäre, das lässt sich allerdings nicht sagen. Aber es scheint doch letztlich alles gut zu sein.
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653 Wörter; 4265 Zeichen